Ein Vertrag, zwei Sichtweisen

REGION – (bl). Der schwarz-rote Koalitionsvertrag liegt auf dem Tisch. Doch ob es letztendlich eine Bundesregierung aus CDU/CSU und SPD geben wird, liegt daran, wie sich die SPD-Mitglieder entscheiden werden, die zur Abstimmung über das 185 Seiten starke Werk aufgerufen sind. Für Birgit Kömpel, die für die SPD den Wahlkreis 174 Fulda/Lauterbach in Berlin vertritt, „hat sich das harte Verhandeln gelohnt“. Der LA befragte sie und ihren Parlamentskollegen Michael Brand von der CDU, wie sie den Koalitionsvertrag beurteilen, wo die jeweilige Partei Abstriche hat machen müssen und wie beide die bevorstehenden gemeinsamen Regierungsjahre sehen.

Birgit Kömpel zufolge bedeutet der Koalitionsvertrag „spürbare Verbesserungen für die Menschen“: Ein flächendeckender, gesetzlicher Mindestlohn von 8.50 Euro, das sei ein deutliches Plus für Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Die SPD-Frau: „Arbeit lohnt sich wieder und wird gewürdigt.“ Nicht vergessen werden dürften die Verbesserungen bei der Leiharbeit und für Frauen. Und weiter: „Persönlich freue ich mich besonders über die abschlagsfreie Rente mit 63 nach 45 Versicherungsjahren.“ Auch die Mütterrente solle nicht unerwähnt bleiben: Trotz deutlicher CDU-Handschrift sieht Birgit Kömpel hier die oftmals immensen Leistungen der Mütter endlich angemessen gewürdigt. Als berufstätige Mutter wiederum betonte sie, wie entscheidend eine funktionierende Kinderbetreuung für alle Männer und Frauen sei, die Beruf und Kindererziehung parallel meistern müssten.

Auch die sechs Milliarden Euro an Investitionen in Kindergärten, Schulen und Hochschulen seien bestens angelegt. Kömpel: „Das ermöglicht Männern und Frauen eine berufliche Weiterentwicklung auch mit Kindern und sichert eine hochwertige Betreuung und Förderung von Anfang an“. Sie begrüße diese Zukunftsinvestitionen auch deshalb besonders, weil sie den Schwerpunkt ihrer zukünftigen Arbeit im Bundestag für ihren Wahlkreis Fulda/Lauterbach bilden sollen: verbesserte Lebens- und Arbeitsbedingungen für die Menschen, besonders für Menschen mit Kindern.

Nicht unerwähnt lassen möchte die Bundestagsabgeordnete, dass sie sich im Bereich Gleichstellung und Frauenquote mehr erwartet hätte: „Die Frauenquote von 30 Prozent in den Aufsichtsräten deutscher DAX-Unternehmen ist leider nur ein kleiner Schritt in die richtige Richtung. Hieran müssen wir weiter konsequent arbeiten und dürfen nicht locker lassen“, verspricht Kömpel. Die Abgeordnete ist Mitglied der Frauengruppe der SPD-Bundestagsfraktion, die sich insbesondere für die Frauen- und Familienpolitik einsetzt.

Kömpels Fazit: „Ich bin mir sicher, dass die Mitglieder der SPD diesem Koalitionsvertrag zustimmen werden, denn er trägt eindeutig die Handschrift der Sozialdemokraten. Bei einem Wahlergebnis von 25 Prozent zu knapp 42 Prozent zugunsten der Union war zu erwarten, dass wir unser Regierungsprogramm nicht hundertprozentig durchsetzen können. Aber wir Sozialdemokraten sind uns unserer Verantwortung bewusst. Wir setzen uns seit 150 Jahren dafür ein, dass es den Menschen besser geht. Dies ist uns mit dem Koalitionsvertrag auch gelungen.“

Brand: Zäh verhandelt

Michael Brand, der am Donnerstag an der konstituierenden Sitzung des Hauptausschusses des Deutschen Bundestages teilgenommen hatte, nachdem er als einer von 94 Abgeordneten in das Gremium gewählt worden war, betont, „dass im Koalitionsvertrag viel Vernünftiges steht, manches hätte ich auch lieber nicht darin gesehen. Hätten wir überall osthessische Verhältnisse, könnten wir den sehr erfolgreichen Weg der CDU von Beschäftigung bis Wachstum und Schuldenabbau stärker fortsetzen. Ohne eigene Mehrheit im Bundestag waren wir auf Kompromisse mit einem schwierigen Partner angewiesen. Und die SPD ist bekannt dafür, dass sie schneller Geld ausgibt, und sie wollte die Steuern erhöhen. Wir haben zäh verhandelt, um eine stabile Regierung und zugleich Wachstum und Beschäftigung, stabilen Euro und Unterstützung des Mittelstandes nicht zu gefährden. Nun gibt es keine Steuererhöhungen, und viele Maßnahmen stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Die kalkulierten 23 Milliarden Euro bis 2017 können ohne Schulden finanziert werden. Ab 2015 ist Schluss mit Neuverschuldung, es wird keine Eurobonds zur Übernahme der Schulden anderer Staaten geben. Das war kein Selbstläufer mit der SPD. Wir werden also keine Schulden-Koalition, weder hier noch in Europa“.

Dennoch würden Milliarden investiert: in Forschung und in Infrastruktur, die Kommunen würden um weitere sechs Milliarden Euro entlastet. Das sei gut für Modernisierung und Beschäftigung. Brand: „Wir tun übrigens auch viel, was kein Geld kostet: so bremsen wir den Anstieg der Strompreise durch eine EEG-Novelle, schützen Umwelt und Natur, verbessern Bildung und vieles mehr. Mir persönlich war auch die Stärkung von Palliativmedizin und Hospizarbeit wichtig, weil das viel mit Würde zu tun hat.“

Der CDU-Bundestagsabgeordnete erhofft sich, „dass wir beim Mindestlohn mit Ausnahmen und Übergangsfristen bis 2017 hoffentlich die Vernichtung von Beschäftigung verhindern“. Bei der Rente mit 63 müsse man Acht geben, dass das System nicht überlastet werde und künftige Generationen die Zeche zahlen müssten. „Da bleiben Fragen“. Die Mütter-Rente sei durchgesetzt worden, „weil das viel mit Gerechtigkeit der Generationen zu tun hat. Ohne diese Kinder wären wir nicht in der Lage, später Renten zu zahlen; wir müssen nur sehen, dass wir die Belastungen nicht so hoch schrauben, dass die Statik des Systems ins Wanken kommt“.

Vor einer endgültigen Koalition müsse die SPD ja aber noch Widerstände überwinden, auch hier in der Region. Brands Fazit: „Alles in allem – wir haben die Wahlen gewonnen, leider nicht mit der optimalen Konstellation. Die Große Koalition ist nicht mein Traumergebnis. Wir brauchen aber eine stabile Regierung und eine Plattform für solide Arbeit. Wenn wir die Vernunft der letzten Jahre mit regieren lassen, dann haben alle was davon, auch wir hier in Osthessen.“

>> zum Online-Beitrag im Lauterbacher Anzeiger geht es hier: http://www.lauterbacher-anzeiger.de/lokales/vogelsbergkreis/landkreis/ein-vertrag-zwei-sichtweisen_13664563.htm